Staatsanzeiger Baden-Württemberg, Ausgabe 49/2003 (1)
Stand: 18.05.2015
Aus Umkleidekabinen werden Überwachungskameras verbannt
Ein exemplarischer Konflikt über die Videokontrolle in einem Freiburger Hallenbad
Autor: Karl-Otto Sattler
Quelle: Staatsanzeiger Baden-Württemberg vom 15.12.2003 (Ausgabe 49/2003) (Staatsanzeiger Baden-Württemberg )
Freiburg. Der Befund ist eindeutig: Beim Umziehen dürfen Besucher von Bädern nicht von Überwachungskameras gefilmt werden. Eine solche Kontrolle der Intimsphäre stellt einen unzulässigen und rechtswidrigen Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeitsrechte dar. Zu diesem Urteil kommt der Landesdatenschutzbeauftragte Peter Zimmermann, dessen Intervention eine Videoüberwachung in der Sammelumkleide eines Freiburger Hallenbads schon nach kurzer Zeit wieder gestoppt hat. Dieser Konflikt hat eine Signalwirkung über die Breisgaustadt hinaus.
Zimmermann steht mit seiner Haltung nicht allein. Unterstützung erhält er von Thilo Weichert, dem Präsidenten der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD): "Von einer solchen Maßnahme halte ich überhaupt nichts", betont der Vize-Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, der einst für die Grünen als Freiburger Abgeordneter im Stuttgarter Landtag saß. Dieser "massive Eingriff in die Privatsphäre" sei nicht hinnehmbar, so Weichert. Ihn persönlich würde "es schon sehr befremden", beim Umziehen von einer Kamera erfasst zu werden und zu wissen, dass dies unter Umständen zu Kontrollzwecken von anderen Personen auf einem Bildschirm in Augenschein genommen wird.
Wie es nun mit dem Videoprojekt in dem Freiburger Bad letztlich weitergeht, wird sich zeigen. Die Kameras waren installiert worden, nachdem es in der Sammelumkleidekabine zu einer Häufung von Diebstählen aus Spinden gekommen war. Nach Zimmermanns Kritik hat sich die Stadtverwaltung neue Gedanken gemacht und dem Landesdatenschutzbeauftragten in einer Stellungnahme avisiert, künftig nur noch die Spinde und nicht mehr die Besucher beim Umkleiden filmen zu wollen. Zimmermann: "Mit dieser Lösung kann ich leben." Möglicherweise werden die Bänke an ihrem jetzigen Standort abmontiert.
Damit ist es für die Stadt Freiburg jedoch nicht getan. Der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte appelliert an die Verwaltung, vor einer Inbetriebnahme des neuen Systems erst einmal Alternativen zur Videoüberwachung zu prüfen, die ebenfalls zu einem verbesserten Schutz vor Diebstählen führen könnten. So sieht es auch DVD-Präsident Weichert: "Man muss andere Maßnahmen ins Auge fassen." Als "mildere Mittel" zählen etwa eine Ausweitung der Inspektionsgänge des Bäderpersonals oder effektivere Schlösser an den Spinden.
Für Zimmermann offenbart sich in dem Freiburger Streitfall ein generelles Problem: "Man darf nicht immer gleich zur Kamerakontrolle als schärfstem Mittel greifen." Grundsätzlich halte sich bei den Datenschützern "die Begeisterung über die Videoüberwachung in engen Grenzen". Jeder Einzelfall müsse genau unter die Lupe genommen werden.
In der Tat markiert das Gefilmtwerden durch eine zu Kontrollzwecken installierte Kamera, die zwangsläufig ausnahmslos alle Personen in ihrem Einzugsbereich erfasst, nun einmal einen massiven Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger. Gleichwohl breitet sich die Videoüberwachung mittlerweile wie selbstverständlich in immer mehr Lebensbereichen aus, auf Bahnhöfen, in Geschäften, an Tankstellen, in Banken, selbst in Gaststätten oder in Bussen und Bahnen sind schon elektronische Augen aktiv.
Auch bei der besonders sensiblen Kamerakontrolle der Sammelumkleide in dem Freiburger Hallenbad entschied sich die Stadt recht schnell für diese schärfste Variante. Selbstverständlich, meint Zimmermann, sei es sachgerecht, wenn sich eine Behörde im Falle einer Zunahme von Diebstählen Gedanken über Gegenmaßnahmen mache. Doch zwischen dem Schutz vor Kriminalität und dem Eingriff in Persönlichkeitsrechte wurde offenbar nicht sehr gründlich abgewogen. Beim Start der umstrittenen Videoüberwachung hieß es von Seiten der Verwaltung, die Installation dieser Anlage sei mit dem kommunalen Rechtsamt zuvor abgeklärt worden. Nach der Intervention Zimmermanns gelangte die städtische Datenschutzbeauftragte Heike\- Rosteck im Zuge einer Untersuchung freilich ebenfalls zu der Auffassung, dass es so nicht gehe weil eben Personen auch beim Umziehen gefilmt werden.
Über diesen Konflikt hinaus mahnt Zimmermann, vor einer Entscheidung für Kameras jedes Mal zunächst genau zu prüfen, ob sie überhaupt ihren Zweck erfüllen können. So sei zum Beispiel zu fragen, ob elektronische Augen in den Empfangsbereichen von Gebäuden Diebstähle in deren Innern zu verhindern vermögen. Eine solche Videokontrolle wird in Freiburg bereits in den Eingangssektoren von Hallenbädern praktiziert.
An der Dreisam lässt die Stadt bei Überwachungskameras ohnehin keine große Zurückhaltung walten. So werden weite Bereiche des öffentlichen Raums im Umfeld von Straßenbahnlinien von Kameras der kommunalen Verkehrsgesellschaft gefilmt. Den meisten Passanten und Autofahrern ist nicht bewusst, dass sie automatisch auch auf den Bildschirmen in der Leitstelle des Unternehmens präsent sind schließlich gibt es nicht einmal Hinweisschilder. Mädchen und Jungen, die mittags nach der Schule auf einem Platz mit einer Haltestelle im nördlichen Stadtteil Zähringen herumturteln, oder das Pärchen, das dort spätabends nach einem Kneipenbesuch umschlungen nach Hause spaziert, wissen ebenfalls nichts von der Kamera, die sie an diesen Ort im Auge behält.
Karl-Otto Sattler
Staatsanzeiger Baden-Württemberg